» Video-VersionSchlagwörter: VfL Bochum, Henry Wahlig, Andreas Grothgar, Stadion, Schauspielhaus, Geschichte, TV Bochum 1848, SV Germania 1906 Bochum, TuS 1908 Bochum
Dauer: 1:09:10Drehort: MitteSponsor: Tom-Wahlig-Stiftung» Filmübersicht
Henry Wahlig & Andreas Grothgar über die Fusion des VfL 1938
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 Andreas Grothgar
"So, schönen guten Abend. Ich begrüße zunächst mal meinen heutigen Gast, Henry Wahlig. Er ist, das darf ich vorweg schicken, der Herausgeber, ist richtig, ja? Dieses wunderbaren Buches: Hundert Jahre Fußball mitten in Bochum, Anne Castroper."
Henry Wahlig
"Ja, genau vor einer Woche vor 75 Jahren, ist der VFL Bochum 1848 gegründet worden. Das löst, immer wenn man das so sagt, erstmal Stirnrunzeln aus bei den meisten Leuten, weil 1848, 2013- 75 Jahre?! Die 1848 im Vereinswappen bezieht sich auf den Turnverein Bochum, einer der Vorgänger des VfL, der ist eigentlich auch, in Klammern, 1849 offiziell gegründet worden, aber egal, 1848 steht im Wappen. Aber der VFL, wie er heute heißt, dieser Name, der ist erst 1938 entstanden, weil sich damals dieser besagte Turnverein 1848, Germania 06 und TUS 08 Bochum, die zwei großen Bochumer Sportvereine und der führende Turnverein, fusioniert haben."
Andreas Grothgar
"Und du hast eine sehr interessante These warum die Zahl 1848 trotzdem sehr gut und sehr wichtig wäre, auch als Nennung im Vereinsnamen."
Henry Wahlig
"Ja, 1848 war die, wenn auch gescheiterte, aber die große demokratische Revolution in Deutschland. Auch das ist etwas, auf das der VFL ruhig stolzer sein könnte und das offensiver nach außen tragen könnte, denn unter diesen Turnern, ich meine die waren auch immer zwiegespalten, also die waren jetzt nie astreine Superdemokraten, dann sind sie ja später auch sehr ins recht Milieu gewandert, aber hier 1848 kann man wirklich nachweisen, bei dem bisschen Revolution, was wir hier hatten, da waren die Turner ganz vorne dabei und die haben demokratische, egalitäre Prinzipien damals schon sehr stark vertreten und nach vorne gebracht und das ist die Urwurzel des VFL Bochum, so wie wir ihn heute haben, und das ist doch toll, das gibt denen doch Glaubwürdigkeit, wenn der Verein heute gegen Rassismus auftritt, für Miteinander. So, können wir sagen: Das ist bei uns wirklich, auch wenn wir zum Beispiel das Kapitel 1938 haben, aber wirklich 1848 in der Urwurzel, ist das schon gewesen."
Andreas Grothgar
"Also drei Vereine, aber zwei waren schon fusioniert?"
Henry Wahlig
"Nein! Das waren nur zwei verschiedene Bochumer Sportvereine, die waren sogar eigentlich besonders unterschiedlich. Germania war, wenn man so will, eher der Arbeitergeprägte Club und TUS war eher der Stehkragen Verein, für eher das gehobene Bürgertum, Fußball auch und viel Leichtathletik."
Andreas Grothgar
"Hatte es vorher schon mal Bestrebungen gegeben, die Vereine zusammen zu bringen?"
Henry Wahlig
"Ja."
Andreas Grothgar
"Oder war das jetzt das erste mal?"
Henry Wahlig
"Nein, das war eben später. 1938 ist es doch sehr stark von den Nazis forciert worden, auch schmackhaft gemacht worden, aber grade zwischen diesem TUS und Germania, da gab es schon früher, 1933, aber da noch nicht auf Nazi initiative und teilweise wohl auch schon vorher Überlegungen, weil das einfach auch passte. Das waren zwei so mittelgute Vereine und grade Germania hatte auch ein eklatantes Finanzproblem, also es gibt die Story, ob sie stimmt oder nicht ist egal, dass der Junge eines Spielers- in seiner Hose musste er die ganzen Einnahmen aus dem alten Germania Stadion raus bringen, weil der Bauer Diekmann, genau, dem der Platz gehörte, halt das pfänden wollte, weil die so weit in Rückstand waren, so also die waren faktisch Pleite und hatten aber die bessere Mannschaft die ganze Zeit, die waren immer sportlich eigentlich etwas, aber auch nicht wirklich gut, aber etwas besser als der TUS. Und da gab es schon sehr früh die Überlegung, die beiden Mannschaften zusammen zu nehmen."
Andreas Grothgar
"Wenn wir die beiden Vereine verorten, wo haben wir uns die vorzustellen, also wo in Bochum waren die? Also, ich meine ich stell dir jetzt die Frage."
Henry Wahlig
"Beide, genau, beide von der Castroper Straße. Also TUS hatte das alte, das heutige, genau den selben Platz, das heutige Ruhrstadion, da haben sie gespielt und Germania auch nur ein Stück weiter, ungefähr da wo heute der Ruhrkongress ist, da war der alte Germania-Sportplatz."
Andreas Grothgar
"Und sie kamen 1938 dann zusammen? Das war, wie hieß der Oberbürgermeister?
Henry Wahlig
"Otto Picklum"
Andreas Grothgar
"Picklum?"
Henry Wahlig
"NS Bürgermeister, ja. Die genaue Rolle können wir wirklich nicht sagen, also der Verein hat es lange so dargestellt, dass er ja gezwungen worden ist davon. Das können wir uns jetzt, wo wir uns die Quellen angeguckt, haben nicht mehr so wirklich 1:1 bestätigen. Er hat es ihnen Schmackhaft gemacht, sagen wir mal so. Zum Beispiel, dass er die Schulden, wirklich Teile der Schulden, die diese Vereine hatten erlassen hat, dass das Stadion dann in städtischen Besitz überging und dass ein sehr erfolgreicher Trainer, Georg Hochgesang, der vorher deutscher Meister mit Nürnberg geworden war, die Kollegen haben es noch besser erarbeitet, das ist ganz interessant als Modell: Der wurde städtischer Angestellter und wurde von der Stadt angestellt aber in dieser Funktion wurde er dann abkommandiert Trainer des VfL zu werden, wäre heute für den VfL auch ne ganz sparende, ne ganz sparende gute Sache, aber heute würde die Stadt Bochum das wohl nicht mehr machen und sich auch nicht mehr leisten können, aber damals haben sie es gemacht."
Andreas Grothgar
"Ja, ich überlege grade, es ist ja hier, beim Theater war es ja auch so, dass sehr lange das Theater sozusagen eine Abteilung der Stadt war. Herr Hartmann wollte eigentlich das völlig loskoppeln, hat es dann aber zu einer Gesellschaft mit eingeschränkten- Anstallt öffentlichen Rechts gemacht, was so ein Zwischending war und seitdem das Theater aber heute leidet, weil's damit zutun hat, dass die Stadt natürlich die Schulden, die das Theater macht, nicht in dem Maße auffängt wie sich das Theater heute wünschen würde; Es ist zwar unabhängiger, es muss nicht mehr um alles fragen, aber draufzahlen muss es auch. Aber wie hat man sich das dann vorzustellen, wenn der Herr Picklum das dann so, was war der Grund überhaupt? Warum hat man in der damaligen Zeit so was gewünscht?"
Henry Wahlig
"Wir haben nicht das Argument, ne, das hatte mit Bochum auch schon was zutun, das haben wir an den Quellen ja, wir haben nicht die Quelle, wo man unmittelbar sagen kann- Das war, es gibt nicht den Befehl aus Berlin, dass die alle Vereine fusionieren müssen, das gibt es nicht. Hier in Bochum war es ganz bestimmt auch, dass Picklum ein Großverein wollte, der für ihn einfach auch was daher machte. Der Nazi-Staat war ja ein ganz komischer, merkwürdiger Staat, indem innerhalb des SS-Systems unheimlich viele Eitelkeiten waren und jeder Parteibonze sich doch irgendwie auszeichnen wollte und zeigen wollte: Ich kann doch noch ein bisschen mehr und unheimlich viel Zuständigkeit überhaupt nicht klar war und da war ganz bestimmt, weil der Picklum auch eher als so ein schwacher Oberbürgermeister galt, gleichzeitig aber Bochum die Gauhauptstadt war und er eigentlich hier eine tragende Rolle hätte haben müssen, kann es, wir haben die Quelle unmittelbar nicht, aber das liegt doch nahe, dass dann dieser Großverein für ihn dann sozusagen ein Instrument, den er quasi mitnehmen konnte auf Reisen, wo er zeigen konnte, hier, mein VFL, mein Großverein. Er war auch Schirmherr dieses Vereins."
Andreas Grothgar
"Du hast es selber eben schon gesagt, Bochum war Gauhauptstadt."
Henry Wahlig
"Hauptstadt. Also ungefähr wie die heutigen Bundesländern."
Andreas Grothgar
"War also auch sehr früh, hat der Führer Bochum besucht, weil wir eine besonders starke Gruppierung von ihm waren?"
Henry Wahlig
"Also sowieso, Bochum, traurig aber wahr: Schon in den zwanziger Jahren, auf der Burg Blankenstein in Hattingen, hat sich schon 1925 oder 1926 die NSDAP Ortsgruppe hier gegründet und Bochum war doch ein NS Zentrum, hatte auch, muss man sagen, wieder noch bis 33 einen sehr liberalen jüdischstämmigen Oberbürgermeister, Dr. Ruhr, war aber doch auch eine Nazi-Hochburg und deshalb war Hitler, aber Hitler war viel im Wahlkampf unterwegs, aber 1932 war er auch an der Castroper Straße."
Andreas Grothgar
"Und hat dort gesprochen?"
Henry Wahlig
"Und hat dort gesprochen."
Andreas Grothgar
"20 Minuten lang."
Henry Wahlig
"Genau, ja das war halt, er ist durch Deutschland geflogen, fünf Auftritte am Tag, aber traurigerweise muss man auch sagen, das war mit, vielleicht bis heute, man konnte es nicht so genau herausfinden, aber eine der meist besuchten Veranstaltung, die in der Castroper Straße stattgefunden hat.
Andreas Grothgar
"Es gab auf der anderen Seite aber auch eine starke linke Arbeiterbewegung."
Henry Wahlig
"Ja, klar. Kommunisten hier, Arbeiterstadt."
Andreas Grothgar
"Hast du denn so in deinen Recherchen so was, wie hat man sich das denn vorzustellen, das Leben damals in Bochum? Wie groß war denn die Stadt überhaupt, also wie viele Einwohner cirka?"
Henry Wahlig
"Das... wisst ihr's? Ich glaube… Ja, also immer noch wachsende Industrialisierung da, aber wirklich doch schon eine Großstadt. Dreihunderttausend, schätze ich, haben wir da auch schon gehabt."
Andreas Grothgar
"Und in den Vereinen, gab es einen Widerstand gegen diese Zusammenschließung? Oder war das eigentlich etwas, was man gerne aufgenommen hat und gesagt hat: Ja, endlich sagt das mal jemand!"
Henry Wahlig
"Also erstmal muss man vorher sagen, das ist jetzt auch, was man über Bochum hinaus sagen kann, die Vereine in Deutschland alle, die Fußballvereine, Sportvereine, haben es halt lange so dargestellt: Wir waren ja das erste Opfer der Nazis, wir wollten ja unsere demokratischen Traditionen fortsetzten und dann kamen die bösen Nazis und haben uns gezwungen uns gleich zu schalten; Hieß alle demokratischen Traditionen über Bord zu werfen und sich einen Führer zu wählen, der dann machen konnte, was er wollte und zum Beispiel alle jüdischen Mitglieder raus zuwerfen, und das ist definitiv falsch! Man kann halt an den Quellen ganz klar sehen das war eine Selbstgleichschaltung, voraus einem Gehorsam. Also noch bevor die Nazis überhaupt den Reichsportführer, wie er dann hieß, ihrer Sportspolitik überhaupt konstituiert hatten, im April 33, hatten die meisten Sportvereine schon ihre jüdischen Mitglieder ausgeschlossen und sich eben gleichgeschaltet, weil sie schon ahnten, vorausschauten: Oh, das ist jetzt kein normaler Regierungswechsel mehr, das ist also wirklich ein neues Reich, wie es die Nazis propagiert hatten und da wird es besser sein, in diesem Reich, dass wir schon mal auf Linie liegen. Weil sie auch nicht wussten: Werden wir sonst aufgelöst? So, und dann wurden eben demokratische Traditionen aufgelöst und jüdische Mitglieder wurden über Bord geschmissen."
Aus dem PublikumHenry Wahlig
"Aber nicht bei Germania Bochum"
Henry Wahlig
"Da gibt es keine Quellen für."
Aus dem Publikum
"Doch, ich habe mit Otto K. Wüst darüber gesprochen
Henry Wahlig
"Ja ich habe auch mit Otto K. Wüst- Otto K. Wüst hat mir auch erzählt, dass er 1938 jüdische Mitglieder über die grenze nach Holland gebracht hat, das mag auch stimmen. Dass die wirklich damals noch Mitglieder von Germania waren ist fast ausgeschlossen, also wir haben es ja wirklich weitgehend erforscht, zum aller-aller-allergrößten Teil wurden die jüdischen Mitglieder auch schon 1933 ausgeschlossen in allen Sportvereinen in Deutschland und spätestens 1935 war dann Schluss, dann gab's eine neue Einheitssatzung und da war quasi ein Arierparagraph drin, also danach war es nicht mehr möglich noch Juden in Sportvereinen zu halten."
Andreas Grothgar
"Das ist eine sehr verwirrende Tatsache, oder?"
Henry Wahlig
"Ja, wieso verwirrend? Das ist halt leider, wenn man sich-"
Andreas Grothgar
"Das ist so früh in so einem selbst."
Henry Wahlig
"Ja, das ist halt, wenn man sich genauer, wir müssen ja auch da- man muss sich das angucken um daraus zu lernen und das, was das für mich heißt, ist wirklich während den Anfängen: Passt auf! Weil wir auch heute wieder sagen würden: Ach, das, wir haben doch, ich meine es ist jetzt auch eine andere Situation, ganz klar… Nur, auch da ganz schnell, freiwillig, wurden liberalen Traditionen über Bord geworfen und es war also nicht nur, dass von vorne rein ein ganz gewalttätiges Regime alles nur unter Zwang eingeführt hat, sondern, dass die Leute grade zu Begin doch auch viel freiwillig erstmal mitgemacht haben und dann natürlich, dann wurde es ein ganz…"
Andreas Grothgar
"aber dann noch sogar vorgreifend"
Henry Wahlig
"Ja, eben."
Andreas Grothgar
"Das meine ich mit verwirrend, weil du würdest doch eigentlich sagen, wenn du eine gute Fußballmannschaft hast, ist es Idiotisch einen guten Spieler raus zusetzten, nur weil er kein Arier ist, oder weil er…"
Henry Wahlig
"Es war halt doch nur eine kleine Minderheit, wir reden über 1-2 % der Bevölkerung, in den Sportvereinen auch ungefähr, also es ist nicht so, es war ja immer das Klischee Juden wären unsportlich und so, das ist Unsinn. Die waren mindestens so stark in Sportvereinen wie Christen zum Teil. Ja, aber die hat man über Bord schmeißen lassen, das wurde in Kauf genommen. Das war ein Kollateralschaden, irgendwie Hauptsache man wollte auf Linie liegen und sich bei den neuen Machthabern gut stellen und wirklich hier vorzeigen: Hier, wir sind schon auf Linie!"
Andreas Grothgar
"War denn die jüdische Gemeinschaft groß, in Bochum?"
Henry Wahlig
"Auch ungefähr 1-2% der Bevölkerung, normaler Anteil."
Andreas Grothgar
"Ah ja, und auf was für eine Art und Weise weiß man darüber, wie das dann passiert ist? Also wie ist man zu den Leuten hingegangen und hat den das gesagt, war die Begründung so, dass man nicht viel sagen musste?"
Henry Wahlig
"Wir haben hier leider in Bochum unmittelbar zu dem Verein keine Quellen gefunden, muss man sagen, aber wir haben es ja allgemein jetzt, haben wir es für ganz Deutschland untersucht. Es gab verschiedene Wege: Entweder wurde es wirklich direkt per Brief unmittelbar mitgeteilt, was ganz klar widerrechtlich war. Also es hat einfach der Vorstand beschlossen, die sind ausgeschlossen. Das hätte einer Satzungsänderung bedürft. Aber was schlimm ist, dass auch da sich keiner mehr dagegen gewehrt hat. Wir haben keinen einzigen Fall in Deutschland, wo sich ein jüdisches Mitglied noch mal wirklich gewehrt hat und gesagt hat: Hört mal, das könnt ihr nicht mit mir machen, das ist gegen eure Satzung! Der Druck muss wohl schon so stark gewesen sein, gegen die Juden, und für so eine Gleichschaltung, dass die das alle schweigend hingenommen haben. Und was noch schlimmer ist: Oft wurden die Juden sogar gezwungen selbst auszutreten, also dass die so eine Art blauen Brief kriegten und gesagt wurde: Für unseren Verein ist es besser, bitte verlasst jetzt den Verein. Aber der Verein konnte nach außen dann schreiben: Alle jüdischen Mitglieder sind selbst ausgetreten. Also sie mussten es noch nicht mal offiziell machen und konnten nach außen hin eine weiße Weste bewahren und die jüdischen Mitglieder mussten selbst ihren austritt einreichen."
Andreas Grothgar
"Perfide."
Henry Wahlig
"Perfide, genau.
Andreas Grothgar
"Und dann? Die jüdischen Spieler haben das auch so hingenommen? Oder muss man sagen, es blieb ihnen nichts anderes übrig, keine Form von Protest oder gab es Leute die widersprochen haben?"
Henry Wahlig
"Wenig. Es gibt ganz wenige Briefe. Zum Beispiel von Julius Hirsch, das war einer der- Es gab sogar eben jüdische Nationalspieler, die wirklich Länderspiele für den DFB bestritten haben; Einer war Julius Hirsch und der war 30 Jahre im Karlsruher SV, heute Karlsruher SC, und der hat einen sehr bewegenden Brief geschrieben: Ich nehme heute traurig Abschied. (Und das hat ihn eigentlich noch mal wenigstens ins Stammbuch geschrieben:) Es kann doch eigentlich nicht sein; Ich habe 30 Jahre für euch den Buckel hingehalten. Und er war auch einer der erfolgreichsten Spieler und jetzt nehme ich traurig Abschied. Und da hat der Verein dann auch noch geschrieben, hat versucht, ja, vorläufige Sache, wir wollen mal sehen, wie sich das so entwickelt… aber er war natürlich raus. Und die ganzen Jüdischen, das waren tausende, zehntausende Fußballer, was machten die nun? Die einzige Möglichkeit, wenn die ihren Sport fortsetzen wollen, war, dass sie nur in rein jüdische Vereine rein gegangen sind und rein gehen mussten und die kriegten, wie in einem sportlichen Ghetto eigene Ligen eigene Meisterschaften, eigene Sportplätze, die auch in den meisten Städten schön weit getrennt waren von den Deutschen, also von den Plätzen wo halt die Christen gespielt haben und da hat man für ein paar Jahre noch dann eben gettoisiert, ein eigenes jüdisches Sportsystem zulassen müssen. Hautsächlich deshalb, weil 1936 die Olympischen Spiele in Berlin stattfanden und die USA, andere westliche Staaten, gesagt haben: Nur wenn die Juden zumindest gewisse Partizipations-Möglichkeiten hier weiter haben, wenn sie noch ein bisschen am Sport beteiligt werden, dann machen wir bei Olympia mit. Und deshalb, das war aber letztlich faktisch rückblickend, muss man sagen: Die waren ausgeschlossen. Es gab kaum noch Kontakte zwischen dem Bürgerlichen Sport, also dem deutschen Sport, und zwischen dem jüdischen Sport, die waren schon wirklich gettoisiert an den Rand getrieben."
Andreas Grothgar
"Und das hat nach 36 tatsächlich merkbar aufgehört, also sind die dann letztendlich vollkommen verboten worden, auch in der Ausübung des Sports?"
Henry Wahlig
"Ja, also nach 36, nach den Olympischen Spielen, ist diese Schonfrist, die sie quasi hatten, war weg, es ist noch mal massiv wirklich stärker geworden. Hier in Bochum zum Beispiel von dem jüdischen Verein, den es hier gab, der hat dann in ganz Bochum keinen einzigen Sportplatz mehr gefunden, wo er spielen durfte und die mussten dann ihre Heimspiele in Gelsenkirchen austragen; Welch schlimmes Schicksal, für einen Bochumer Sportverein. In Gelsenkirchen, in Ükendorf, hatte die jüdische Sportgruppe einen eigenen Sportplatz, und da haben dann alle jüdischen Mannschaften des Ruhrgebiets, also wir reden jetzt hier wirklich über, es waren mindestens 200 Vereine in Deutschland und selbst in kleinen Städten Witten, Herne, die hatten alle eigene jüdische Fußballvereine, es war wirklich eine große, semiprofessionelle Meisterschaft, die aber völlig separat vom bürgerlichen Sport dann ausgespielt worden ist. Und da war eben Bochum, obwohl sie da noch nicht mal mehr seit 36 einen eigenen Sportplatz hatten, waren sie die führende Mannschaft und sind 38, im letzten Jahr eben jüdischer Meister geworden."
Andreas Grothgar
"Ich überlege grade, das ist ja wirklich abenteuerlich, sich so etwas vorzustellen, dass man so miteinander Sport betreibt und auf einmal heißt es: Ne, ihr dürft jetzt nicht mehr. Und dann sieht man die Leute, mit denen man vorher zusammen gespielt hat, die sieht man dann da auf der Wiese, zwei Wiesen weiter, so untereinander kicken und die dürfen nicht ran, die dürfen dann nicht mehr mitmachen."
Henry Wahlig
"Wir haben einen schönen- eben für die Uni, haben wir das ja flächendeckender untersucht. Das ist jetzt also kein Zitat aus Bochum aber ein Zeitzeuge hat uns erzählt, der in Hildesheim in einem Sportverein war, den haben wir auch gefragt: 'Was hat das für sie bedeutet, als sie da raus geflogen sind?' Und er hat gesagt: 'Ja, wenn ich heute zurückblicke, nach all dem was danach gekommen ist (der war im KZ und so), da war das natürlich eine Bagatelle, eigentlich lächerlich, aber wenn ich mich an damals zurückerinnere, als zwölfjähriger Junge, als ich plötzlich nicht mehr in meinem Verein dabei sein durfte, war das für mich die schlimmste Kränkung, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Ich bin da jeden Tag hingegangen und war glühender Fan und plötzlich kriegst du gesagt, in dieser Gemeinschaft, du darfst hier nicht mehr dabei sein. Das fand ich ein ganz gutes, weil es doch auch in der sozialen Exklusion, was das bedeutet hat, war das ein unheimlicher Einschnitt für die Leute.'"
Andreas Grothgar
"Du hast doch ein paar Bilder dazu, dann lass uns doch mal gucken."
Henry Wahlig
"Ja, dann lass uns jetzt doch in ein anderes Verzeichnis gehen, das nach NS Zeit und dann Schild Bochum, würde ich sagen."
Andreas Grothgar
"Siehst du?"
Henry Wahlig
"Ich sehe perfekt."
Andreas Grothgar
"Vielleicht kann ich ein bisschen zurückgehen."
Henry Wahlig
"Erstmal NS Zeit und dann Schild Bochum. Das ist die jüdische Mannschaft."
Andreas Grothgar
"Woher ist dieser Begriff? Schild."
Henry Wahlig
"Es gab zwei Verbände, einmal den Makabi, den gibt es bis heute, das waren die Tiunisten, also die letztlich, die sich als erstes als Juden verstanden haben und auch den Aufbau eines Staats Israel, den es ja noch nicht gab, forcieren wollten. Dieser Schild verband das waren die, die, man muss sagen, Deutschnationalen, die sich erstens als Deutsch verstanden haben und erst dann jüdischen Glaubens, und Schild sollte symbolisieren, so hieß auch der Verband, das Abwehrschild gegen Antisemitismus. Sport soll zeigen: wir sind gleichstark. Darum ging es ja auch Hauptsächlich, also die Nazis haben ja auch immer, das war eins der wichtigsten Grundpfeiler des ganzen Antisemitismus, der fußte darauf, Juden sind doch minderwertig, schwächer, können überhaupt kein Sport und das war eben ein gutes Mittel, zu zeigen: Hier, wir sind es doch!"
Andreas Grothgar
"Das war- noch mal kurz zurück!"
Henry Wahlig
"Das ist ein Mannschaftsfoto, eigentlich so ziemlich das erste, den jüdischen Verein gab es schon vor 33, das ist so Mitte der zwanziger Jahre, 1926 ungefähr. Damals, muss man aber sagen, so wie es evangelische und katholische Vereine gab, gab es dann eben auch dieses jüdischen Verein, die haben auch normal im Bochumer System auch Freundschaftsspiele gegen alle möglichen Mannschaften gespielt. Vielleicht ist hier ein Experte, ich weiß nicht genau, wo dieser Sportplatz ist, das kann natürlich auch ein Auswärtsspiel gewesen sein, aber vielleicht erkennt jemand, wo das in Bochum sein könnte. Weiß auch keiner? Ich habe in einer Quelle gefunden, dass die mal auf dem Sportplatz von Preußen Bochum an der Wasserstraße gespielt haben, aber ich weiß es nicht, ob es dieser Sportplatz ist, aber das ist so mit das erste Mannschaftsfoto, was wir haben von denen. Damals irgendwo ist markiert Wasserstraße. So das ist jetzt zwölf Jahre später, das ist quasi das letzte Foto, wenn wir so wollen. 1938, Juni, innerhalb dieser jüdischen Liga, das ist halt aus einer jüdischen Zeitung, das Foto, wo sie Meister geworden sind. Die drei- Das sind die elf Spieler, man sieht interessanterweise, die haben hier ein B hier, sie haben das Schild Wappen und dann ein B drauf, für Bochum. Und ganz in der Mitte, zentral, der Herr mit der Krawatte, das war Julius Goldschmidt, der Manager, Mäzen, Trainer; Ganz prägende Figur dieses Vereins und rechts neben ihm, der diesen kleinen Pokal in der Hand hält, das war der Mannschaftskapitän Erich Gottschalk, den wir jetzt letzte Woche im Zuge dieser Matinee zur Vereinsgeschichte, zur Fusionsgeschichte noch mal geehrt haben, dessen Neffe da war, er selbst ist Verstorben und auch der Einzige, von dem wir konkret wissen, dass er vorher Mitglied im TUS Bochum war, also ein Vorgänger des Vereins vom VfL."
Andreas Grothgar
"Weißt du wo dieses Spiel war?"
Henry Wahlig
"Ja: In Köln, auf dem Sportplatz Fort Beckstein, ganz in der Nähe, gibt's heute noch, in der Nähe vom Müngersdorfer Stadion, Sporthochschule da."
Andreas Grothgar
"Wie viele Schild-Mannschaften gab es denn?"
Henry Wahlig
" Ja eben, also Makabi und Schild zusammen über 200 in Deutschland und Schild etwas mehr 120, 130 also wirklich ganz umfangreiche Struktur und die haben eigentlich das ausgespielt, wie die Bundesliga, also eigentlich wie der deutsche Fußball, es gab ja eben noch keine Bundesliga auch damals im offiziellen Fußball, es gab verschiedene Regionalmeisterschaften; Liga in Westfahlen, Liga im Reinland, Liga in Norddeutschland, die haben alle ihren Meister ausgespielt und dann im Play-off System die Meisterschaft ausgespielt. Und da ist Bochum halt bis ins Finale gekommen gegen Stuttgart und hat 4:1 gewonnen, als erste Mannschaft aus dem Westen Meister geworden. Das ist dieser Erich Gottschalk noch mal als Portraitfoto. Ganz krasses, trauriges Schicksal und es ist auch toll und gut und wichtig, dass der VFL sich jetzt daran noch mal erinnert hat; Er war halt 38 Kapitän dieser Mannschaft, dann war die Pogromnacht, 9. November 38, wo die Synagogen angezündet worden sind. Da ist eigentlich bisher, bis dahin war es "nur" eine Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung und dann geht es wirklich in physische Verfolgung über, dann werden Juden umgebracht, dann werden sie in der Kriegszeit ja auch wirklich in die KZ's, in die Vernichtungslager, gesteckt.
Henry Wahlig
Er hat versucht, dem dann noch zu entfliehen mit seiner Familie, ist nach Holland geflüchtet, ist aber auch da dem Nazi Terror nicht entkommen, als der Krieg begonnen hat und die Nazis da einmarschiert waren, ist er da ins KZ gekommen, hat, mach mal weiter noch, da kommt dann nämlich gleich noch ein Bild, da hat er wieder, das ist jetzt im KZ Westerbourg in den Niederlanden, also eine absurde Sache: Das ist eine KZ Fußballmannschaft, er ist oben der fünfte von Rechts, in der obersten Reihe, erkennt man vielleicht wieder. Also er hat überall versucht, wirklich bis zuletzt muss man ja sagen, dem Fußball treu zu bleiben und hier auch, was für eine absurde Sache, hat er also im KZ weiter Fußball gespielt. Dieses Westerbourg war kein Vernichtungslager, es war "nur" ein Arbeitslager, aber von da wurde er deportiert, mit seiner gesamten Familie 1944, und seine gesamte damalige Familie, Vater, Mutter, Ehefrau und die dreijährige Tochter, die selbst erst in Westerbourg im vorherigen Konzentrationslager geboren worden war, sind alle in den Gaskammern in Auschwitz ums Leben gekommen und er selbst hat auch krasser Weise nur durch ein Zufall mehr oder weniger überlebt, weil er auf einen dieser Todesmärsche geschickt worden ist, also kurz bevor die rote Armee dann kam haben die Nazis noch mal die letzten Insassen noch mal Gewaltmärsche machen lassen und da wurden viele umgebracht und er hat sich tot gestellt und wurde auch von seinem Aufseher für Tod gehalten und deshalb einfach liegen gelassen, als die dann weg waren ist er dann aufgestanden und nur so hat er überlebt, ist dann nach dem Krieg, mach mal weiter, ich weiß nicht was für ein Bild jetzt noch dazu kommt, ja das ist wieder das erste Bild, genau und der ist dann nach dem Krieg wieder zurück in die Niederlande gegangen und das hat uns der Herr van da Voren auch sehr eindrücklich geschildert, was für ein physisch gebrochener Mann er dann letztendlich aber war. Er hat eine neue Familie da gegründet, neue Frau gefunden, keine Kinder mehr bekommen, aber eben in eine neue Familie eben eingeheiratet. Und was ich besonders krass finde ist, dass er dann wohl auch seinen Verwandten, seinen neuen Verwandten immer erzählt hat, vor dem Krieg war ich mal deutscher Fußballmeister in Deutschland, das stimmt, er war in der jüdischen Meisterschaft, und seine neuen Verwandten haben wohl immer gesagt: Guck dir den alten Mann da an, der sitzt hier nur noch wie ein Häufchen Elend rum, das ist doch nicht wahr. Und er ist 1996 gestorben und bis dahin leider hat das in Bochum keinen Interessiert und auch vom VfL niemanden interessiert, aber besser spät als nie. Jetzt hat der Verein das erkannt und aufgearbeitet und wird im Herbst auch noch, es gibt diese Aktikon Stolpersteine, dass man vor den Wohnhäusern ermordeter Juden einen Stein ins Pflaster einlässt, um an die Juden zu erinnern, dass man wirklich darüber stolpern muss und das wird der VFL auch bezahlen, Patenschaft übernehmen, dass das vor dem Haus der Familie Gottschalk gemacht wird."
Andreas Grothgar
"Gibt es in Bochum Juden, die überlebt haben, die diese Zeit überlebt haben, überhaupt?"
Henry Wahlig
"Wenige, wenige. Ich weiß nicht ob es heute noch, einen kenne ich, der auch vor kurzem verstorben ist, aber nur sehr wenige sind es noch. Und die heutige jüdische Gemeinde, das sind hauptsächlich jetzt in den letzten 10-15 Jahren sind hier viele Juden aus Osteuropa zugewandert, also die ist doch, wieder an der Castroper Straße ist ja auch die Synagoge, aber das sind Zugewanderte. Eine interessante Geschichte ist noch, dieser Verein Schild Bochum, die hatten ihr Vereinsheim, das ist jetzt auch wieder, so Linien zusammenfinden, dieser Gottschalk war Mitglied beim TUS, beim VFL, und die hatten ihr Vereinheim auch an der Castroper Straße 1926, ganz unten, da wo heute so ein Schuhhaus ist, also auch die kamen von der Castroper, deswegen ist das hier auch drin. Das ist halt auch die andere Seite des Fußballs an der Castroper Straße."
Andreas Grothgar
"Was glaubst du, wie man so ein Gedenken aufrechterhalten könnte? Jetzt in Verbindung mit dem VfL?"
Henry Wahlig
"Ja, eigentlich so, so wie sie es jetzt machen. Und das sollte auch, natürlich haben wir das Thema jetzt erstmal gehabt, aber wenn es jetzt spätestens zum hundertjährigen Jubiläum, aber ich denke auch, ja sagen wir mal so, wenn jetzt wieder eine Aktion kommt, der VFL macht ja Anti-Rassismus Aktionen und so was- ich finde das auch viel glaubwürdiger, wenn der VFL hier zeigen kann, auch wir kehren vor unserer eigener Haustür und gehen in unsere eigene Geschichte zurück, wir haben unsere NS-Vergangenheit aufgearbeitet, wir gedenken jüdischer Mitglieder, die wir hatten, dass das darüber lebendig bleibt und ich glaube auch nicht mehr, dass das für den Verein irgendwie eine gefährliche Sache ist oder dass man Leichen im Keller hat, sondern es ist einfach sich einer Verantwortung zu stellen, wenn man das nach außen auch so aktiv zeigt, dann muss man das eben, dann muss man das auch in seinem eigenem Haus aufgearbeitet haben."
Andreas Grothgar
"Du musst das ja heute auch umso dringlicher machen, als Zeitzeugen werden immer weniger, es gibt kaum noch Leute, die irgendwas erzählen können über diese Zeit, das heißt alles basiert am Ende dann irgendwie auf dem was du machst, auf dem was Historiker noch beschreiben, was dann wiederum- das ist dann widersprüchlich, dem kann man widersprechen, kann sagen das war nicht so und in 0 Komma nichts ist so was vergessen oder es sind Zweifel gezogen."
Henry Wahlig
"Absolut, aber grade eben noch gibt es ein paar dieser Zeitzeugen und deshalb ist es unglaublich wichtig auch jetzt wenigstens das Thema anzugehen, dass man wenigstens noch ein bisschen von dem retten kann. Weil natürlich hätten wir den Erich Gottschalk noch interviewen können, was hätte der uns noch wirklich alles lebendig, er hätte mir erzählen können, wie er sich gefühlt hat an diesem Tag, als er die Meisterschaft gewonnen hat und alles was dann gefolgt ist. Aber ein paar Leute kann man ja wirklich noch erreichen, die einem lebendig davon erzählen können und deshalb ist es so wichtig das Thema jetzt nicht länger liegen zu lassen, um es auch wirklich für die Zukunft zu bringen."
Aus dem Publikum
"Sie hatten ein Foto mit der Aufstellung der Namen, da war der Name Isaak und es hat in Bochum in der Nachkriegszeit einen Spieler bei Preußen Bochum und bei Ehrenfeld, der Isaak hieß und der also als er älter wurde ständig beim Training der Bundesliga Mannschaft des VfL Bochum auch anwesend war natürlich habe ich zu der Zeit keine Familien Forschung stattfinden lassen, aber ich weiß, dass er auch dazu stand und sozusagen am Sportmilieu beteiligt war wenn auch nicht mehr all zu aktiv."
Henry Wahlig
"Muss man nachgehen, wenn das wirklich auf diese Wurzel zurückgeht; Es sind ein paar Juden zurückgekommen und das wäre natürlich eine interessante Geschichte, weil die meisten, muss man sagen, ich habe diese dreizehn Spieler und Funktionäre, die da eben auf dem Foto waren, den bin ich biographisch nachgegangen, ich glaube, ich konnte nicht alle, es kann auch sein, dass der Isak da war, ich glaube elf konnte ich rekonstruieren, ich glaube 5 sind umgekommen durch den Holocaust, die anderen 6 sind irgendwo im Ausland, England, Amerika, Holland wie der Gottschalk und haben irgendwie überlebt, aber nach Bochum zurückgekommen... doch einer ist glaube ich nach Bochum zurück gekommen, Ruthmann, der ist wieder, die anderen sind in alle Winde verstreut."
Andreas Grothgar
"Ach, der ist tatsächlich zurückgekommen?"
Henry Wahlig
"Einer ist zurückgekommen."
Andreas Grothgar
"Weißt du auch, was er gemacht hat, also…"
Henry Wahlig
"Ja, der war nur so genannter Halbjude, da haben die Nazis ja auch schlimme, das ist ja wirklich unerträglich und dadurch war er eben weitgehend von der Verfolgung ausgenommen. Das ist totale Absurdität, dass der Sport sogar strenger teilweise in der Nazi-Gesetzgebung war, als die Nazis selbst. Dieser Ruthmann wurde aus seinem, ich weiß, ich kann es nicht nachweisen, aber als Halbjude wurde er aus den bürgerlichen- Halbjuden wurden ausgeschlossen, weil das schon reichte. Während dann nach den Nürnberger Gesetzten, die dann 35 eingeführt worden sind, gewisse Halbjuden, das kam drauf an, Vater-Mutter und so, wurden von der Verfolgung verschont. Von der offiziellen.. und wurden dann auch in den Krieg eingezogen. Wie absurd, dass man sieht der Sport war hier sogar radikaler teilweise."
Andreas Grothgar
"Hast du denn jetzt mal so genannte Arier gefunden, aus der Zeit, die dir was erzählen konnten, gab es da Zeitzeugen mit den du dich zusammengefunden hast oder musstest du tatsächlich nur in Quellen..."
Henry Wahlig
"Jetzt hier für die VfL Geschichte hab ich zum Beispiel im entstehen auch Otto K. Wüst interviewen können noch, es ist halt relativ begrenzt, was die einem sagen können dazu, weil speziell dieses Thema jüdischer Fußball war nicht mehr auf dem Schirm, wenn die ausgeschlossen waren, und wirklich, dass sie 33 schon so aktiv schon beteiligt waren an dem Ausschluss, die hat man dann, wenn du heute Zeitzeugen hast, waren sie doch damals dann wirklich noch sehr jung und haben das eher wenig mitbekommen und danach war das einfach kein Thema mehr, es ging so weiter und ein paar haben halt gefehlt."
Andreas Grothgar
"Das ist erstaunlich."
Henry Wahlig
"Ja, es ist halt eben auch da wieder: Aufpassen, das geht ganz schnell, so Gruppendynamik, auch letztlich liegt dahinter wie ein gruppendynamischer Prozess, ein bisschen."
Andreas Grothgar
"Andererseits weißt du ja auch wie schnell es geht so Erinnerungen an dein Leben, das du als Alltag empfindest, einfach verschwinden oder verschieben oder sich völlig verändern und dann kommen Leute, und sagen dir: Du hast doch damals in der Schule, weißt du noch, du warst doch immer... und du sagst: War ich, was, ich? Echt?"
Henry Wahlig
"Das ist halt sowieso generell ein großes Zeitzeugen-Problem, jetzt 60-70 Jahre später, das gilt auch für die jüdischen Zeitzeugen, die wir noch finden konnten, also jetzt nicht, beim VfL haben wir keine gefunden, aber generell für dieses Projekt. Ein paar haben wir noch gefunden, eine ganz tolle Begegnung, einer der erfolgreichsten Makabi, das war dieser andere Verband, einer der besten Leichtathleten: Ein fünfundneunzigjähriger Herr, jetzt mittlerweile siebenundneunzig, lebt in Schweden, immer noch Topfit, hat uns mit dem Auto abgeholt, wir haben drei Stunden geredet. Mein Chef und ich waren beide kaputt, aber er hat immer weiter erzählt und das war das erste Mal, wirklich mit siebenundneunzig Jahren, dass ihn jetzt plötzlich einer nach seiner sportlichen Vergangenheit gefragt hat. Und er hat geredet, geredet, geredet, er wusste viel, aber ein paar Sachen, da gehen ja auch Daten durcheinander, dass man einfach wissen muss, das kann nicht sein. Er war nicht in dem und dem Jahr Meister und so, aber gut. Da muss man Zeitzeugen, als Historiker, immer mit Vorsicht genießen."
Andreas Grothgar
"Ja, klar. Mit den Daten, das versteht man ja gut."
Henry Wahlig
"Aber habe ich auch nicht wieder, ich meine ist ja Unsinn, dass ich da komme und sage, hör mal sie waren 34 und nicht 35 Meister."
Andreas Grothgar
"Hatte Makabi auch ne Mannschaft, ne Fußballmannschaft?"
Henry Wahlig
"Ja, Makabi ist eigentlich das gleiche..."
Andreas Grothgar
"Hatten die eine eigene Meisterschaft?"
Henry Wahlig
"Das ist absurd, auch für uns sind heute, Juden sind Juden, Punkt. Aber das ist auch innerhalb sehr heterogen Differenziert gewesen. Und es gab diese beiden Verbände, die auch schlimmerweise kurioserweise lange gegeneinander ziemlich feindlich gesinnt waren, weil sie völlig unterschiedliche Weltanschauungen hatten. Makabi hat den Sport verstanden als Vorbereitung für die Auswanderung nach Palästina, es gab ihn ja noch nicht, der Staat Israel ist ja erst 1948 erst gegründet worden, aber zu dem Zeitpunkt sind ja immer schon, das war ja schon Britisches Mandatsgebiet und eigentlich das gleiche Problem: Es gab die Araber, wie heute, es gab Juden, die dazu gewandert sind, die Zionisten aber die hatten noch relativ freie Möglichkeit dahin zu wandern und der Makabi hat versucht in aller Welt, das war ein Weltweiter Verband, immer die Juden in den Ländern zu mobilisieren: Geht nach Palästina. Und Sport sollte darauf vorbereiten physisch und auch geistig die Leute fit machen. Deshalb alle diejenigen Juden, die sich halt Primär erstmal als Juden gefühlt haben und erst dann deutscher Staatsangehörigkeit, die waren eher in diesem Makabi und hier, unsere Freunde aus Bochum, in Bochum gab es einen ganz, ganz kleinen Makabi Verein, der war aber unbedeutend. In Bochum, das spricht halt für die Politische Ausrichtung des Bochumer Judentums, waren eher diese deutsch-orientierten und die hatten völlig andere Anschauungen, die waren halt auch nach 33, nachdem Hitler an der Macht war, waren die weiter davon überzeugt: Wir sind deutsche und wir gehören hier her und dieser Hitler wird vorüber gehen und wir wollen nicht woanders hin, wir wollen hier bleiben. Und Sport ist ein Mittel um zu zeigen, dass wir hier her gehören. Und die wurden natürlich Schlimmerweise, die haben am Anfang geglaubt, sie könnten mit Hitler zusammenarbeiten, aber man muss auch sagen, die waren doch auch Politisch gesehen auch echt sehr rechts, auf Nationale muss man sagen, und die haben geglaubt, am Anfang, Hitler wird doch nur gegen die anderen Juden vorgehen, nicht gegen uns, Frontkämpfer, also viele von denen waren im Ersten Weltkrieg Soldaten, aber er hat natürlich, Hitler, die sogar besonders stark angegriffen, weil er einfach generell gegen alle Juden war, ganz egal, was die für eine Besinnung hatten."
Andreas Grothgar
"Das heißt es gab keine Spiele von Schildmannschaften gegen Makabi? Es waren wie Verschiedene Verbände"
Henry Wahlig
"Sehr wenig. Ja genau, verschiedene Verbände und es ist wirklich aus heutiger Sicht absurd, traurig mit was, wir haben ja diese ganzen Zeitungen uns angeguckt jetzt und das sehr aufgearbeitet, mit was für lächerlichen, internen Grabenkämpfen die sich aufgehalten haben jahrelang, anstatt mal den gemeinsamen äußeren Feind stärker anzugehen."
Andreas Grothgar
"Das heißt also, diese ganze Geschichte des jüdischen Fußballs in Bochum, kann man sagen die wurde 1938 beendet."
Henry Wahlig
"Ja."
Andreas Grothgar
"Danach hat sich diese gesamte Ausgliederung, Entwicklung ist abgeschlossen worden, erledigt worden."
Henry Wahlig
"Man muss es halt, man muss es so rum sagen, der organisierte, es ist ja, damit hat nicht geendet, dass Juden sich wirklich für Sport interessiert haben und vielleicht auch wo sie konnten Sport getrieben haben, wir haben ja das Bild von dem Gottschalk gesehen, auch im KZ gab es teilweise noch Fußballmannschaften. Aber dieser organisierte Fußball, der endete, weil nach dem Pogrom und dass ist auch wieder so eine perfide, gemeine Nazimethode; Die haben die Vereine nicht einfach aufgelöst, den wurde einfach jegliche Aktivität verboten. Es durften Juden nirgendwo mehr, draußen Auftreten und dann mussten die Vereinsvorsitzenden selbst zum Amt marschieren und sagen: Ich bitte hiermit um Auflösung unseres Vereins, weil wir ja nichts mehr machen dürfen. Und dann wurde gesagt von den Bürgermeister oder wer auch immer, dann geben wir ihrem Wunsch statt, dann sehen wir ja, die Juden können es ja doch nicht, die können kein Sport treiben."
Andreas Grothgar
"Warum war das dann in Gelsenkirchen eher möglich, als in Bochum?"
Henry Wahlig
"Bis 38 war auch in Gelsenkirchen Schluss, nach der Pogromnacht, warum die in Gelsenkirchen ihren Sportplatz bis 38 behalten konnten, also soweit ich weiß gehörte er ihnen selbst, da war das auch nicht so, Bochum hatte bis dahin wohl eher Platzrecht, dass sie mit, also hier Schild Bochum, dass sie mitspielen durften, dass irgendein, ich hab auch leider nicht genau gefunden, teilweise war er an der Wasserstraße, aber wo der Sportplatz war, irgendjemand war noch bereit, ihnen ihren Platz zu teilen, sie da mitspielen zu lassen und das ist dann 36 Schluss, dann mussten sie nach Gelsenkirchen."
Aus dem Publikum
"Wie hat sich der VFL dann in dieser Zeit entwickelt? Sie hatten eingangs diese These, von dem vorauseilenden Gehorsams, wie es ja auch 40 andere Vereine gab, wie ist das dann weiter gegangen? Es gibt ja Beispiele dafür, dass aus anderen Vereinen wo sich z.B. Spieler an jüdischem Eigentum bereichert haben, es gibt Beispiele dafür, dass Vereinsoffizielle aktive Nazis waren und nicht schlichtweg im vorauseilendem gehorsam, können sie diese Palette des Problems mal auffassen?"
Henry Wahlig
"Ja, so konkrete Belege haben wir hier in Bochum noch nicht gefunden, vielleicht gibt es die auch nicht. Man muss dann differenzieren zwischen den drei Vereinsführern, die so wie wir es bisher sehen, teilweise eher sehr stark nationalsozialistisch Ausgerichtet waren, hauptsächlich wohl die vom Turnverein und eher weniger die von Germania und die vom TUS wohl auch, also der Constans Jersch war von TUS der Präsident, Otto Wüst von Germania und Karl Eisermann vom Turnverein. Ob die genau sich privat an jüdischem Besitz oder so bereicherten, darüber haben wir bis jetzt nichts finden können. Generell ist es so, dass der VfL nach dieser Fusion sportlich erstmal profitiert und dann grade in der Saison danach, also diese Vereine davor waren eher, ja, mittelmäßig und eine zeitlang erreichte es der VfL halbwegs an Schalke, an die überdominierende Mannschaft hier ranzukommen, aber auch immer nur den zweiten Platz zu erreichen, wirklich abfangen konnten sie die nie. Deshalb, also, sportlich kann man sagen, ist es ein vorübergehender Aufschwung, konkret ob wirklich, erstmal wie stark Nationalsozialistisch die einzelnen Funktionäre ausgerichtet waren, das muss man differenzieren, ich würde jetzt so, wenn man das ganze simplifizieren will sagen, der Turnverein eher besonders NS Linien treu, das passte auch zu deren Politische Ausrichtung, TUS, dieser Constans Jersch ist eine sehr ambivalente Figur, haben wir Belege dafür, dass er doch eher Pro-Nazi ausgerichtet war, aber auch, soll er angeblich, hat er dann nach dem Krieg gesagt (er war Anwalt) einen Juden verteidigt haben, dass er damit Probleme bekommen hat, also kann man nicht so genau durchschauen. Und der Otto Wüst, der Vater von Otto K. Wüst, der Germania Vorsitzende, ist auch eben sehr spät in die Partei eingetreten, war wohl eher, stand dem Nationalsozialismus fern, aber so ganz konkrete Belege, wie die das in Schalke gemacht haben, da kann man das ja nachweisen mit Kuzorra, mit Scheppern, haben wir hier bisher keine Belege finden können. Bitte, ja, gerne. Da könnten eigentlich noch mehr die beiden Kollegen zu erzählen, die wirklich jetzt, es ist sehr, sehr dünn. Der Verein selbst hat nichts erhalten. Es gab einen Bombenangriff in Bochum, kurz vor Kriegsende, wo wohl viel verloren gegangen ist, ich glaube viel wurde auch einfach nicht für erhaltungswürdig gehalten, ich glaube noch nicht mal wirklich, dass man etwas verschwinden lassen wollte, das hielt man einfach für unwichtig, deshalb können wir eigentlich nur, einmal haben wir Zeitungen. Das ist halt eine Quelle, das wir wirklich die Zeitung durch gegangen sind, Jahrgang für Jahrgang und gesehen haben, grade natürlich weniger die Spiele, sondern wenn dann wirklich über Jahreshauptversammlungen uns so was berichtet wird, dass man gucken kann grade, was steht da auch so zwischen den Zeilen, die Nazi-Presse ist natürlich auch gleichgeschaltet, aber da kann man manchmal so ein bisschen herausfinden. Ja und dann biographisch eher, dass wir die kennen, die wirklich leitenden Funktionäre und da kann man zum Beispiel, was eine gute Quelle ist, ist eben die Entnazifizierungsakten, die dann nach dem Krieg all die Personen ausfüllen müssen, wobei die halt auch wieder, das waren immer so Akten um sich wieder rein zu waschen, also jetzt ist die Nazizeit vorbei und um wieder in Amt und Würden zu kommen, gibt es dann eben diese so genannte Entnazifizierung der Alliierten, ja und gängige Praxis, dass die sich meistens gegeneinander weiß waschen, das nannte man auch Persilscheine, deshalb, zum Beispiel gibt dieser Jersch halt an, dass er 1935 einen Juden verteidigt hätte und deshalb ganz schlimme Probleme mit den Nazis bekommen hätte. Das können wir nicht, mag stimmen, kann aber auch irgendwie, zumindest aufgebauscht sein, das ist sehr schwer Quellenmäßig zu greifen, man kann noch gucken, wann ist jemand NS-Parteimitglied geworden, also die Karteikarten in Berlin, Berlin Dokument Center, wo man das nachgucken kann und die Sportzeitung damals, Kicker und so was, ist auch noch eine Quelle, aber das sind eigentlich schon die Hauptquellen, ganz wenige, wir haben die Einladung 1938 zu den Fusionsverhandlungen und zu den entscheidenden Tagungen, aber die unmittelbaren, authentischen Quellen, sind doch leider relativ dünn, muss man sagen."
Aus dem Publikum
"Wie lange hat sich denn der sportliche Betrieb hier gehalten bis 1938 oder bis 1939, bis der Krieg begann?"
Henry Wahlig
"Nein, nein, noch viel länger! Wir haben bis in die letzte, also noch Anfang 45, wo alles schon in Schutt und Asche liegt eigentlich. Die Nazis wollten, dass so lange wie möglich weiter Fußball gespielt wird, weil für die Moral der Bevölkerung, ja gezeigt werden sollte…"
Andreas Grothgar
"Filme wurden gedreht, wurde alles gemacht."
Henry Wahlig
"Genau, Theater weiter gespielt, hier auch."
Andreas Grothgar
"Revue."
Henry Wahlig
"Revues, so und deshalb zum Beispiel Anfang 45 sind hier noch die roten Feldjäger, das ist so eine, ja letztlich eine Propaganda-Mannschaft, hießen die, mit Fritz Walter, hier noch an der Castroper Straße Fußball gespielt. Soldatenmannschaft, ja so genannte Soldatenmannschaft, weil, der ist ja eigentlich nicht an der Front gewesen, aber es war halt eine Propaganda-Mannschaft, um irgendwie die Leute hier noch auf Trapp zu halten. Und erst da bricht dann irgendwann wirklich, Februar oder März oder so was, steht im Buch genau, bricht dann wirklich erst endgültig der Spielbetrieb zusammen, aber das wurde von den Nazis bis zuletzt versucht aufrecht zu erhalten."
Andreas Grothgar
"Wir haben ja hier, Sascha und ich haben mal geguckt, Sascha hauptsächlich, hat mal geguckt, was hier über das Schauspielhaus zu der Zeit bekannt war, Saladin Schmidt war damals der Intendant und bekannt ist, dass Saladin Schmidt Homosexuell war, dass er aber offensichtlich die gesamte Zeit lang Intendant am Schauspielhaus geblieben ist."
Aus dem Publikum
"Bis 49."
Andreas Grothgar
"Ja, genau. Es war auch bekannt, dass er auf Heil Hitler in der Regel mit einem freundlichem Grüß Gott geantwortet hat, also offensichtlich eine Position sich erarbeitet hat oder entwickeln konnte, die nicht angetastet wurde."
Henry Wahlig
„Es gab, das ist halt auch wieder-“
Andreas Grothgar
"Aber nachweisbar nicht Nationalsozialistisch war oder in einer Partei oder besonders deutschenfreundliches Theater gemacht hat."
Henry Wahlig
"Wir neigen dazu heute, vielleicht zu sehr schwarz, weiß, dann zu sagen alles nur die schlimmen Nazis und dann wird alles wieder gut. So einfach war das nicht, es gab halt auch gewisse Freiräume und Möglichkeiten sich so durch zu wurschteln, aber grade das zeigt doch eigentlich noch um so mehr, welche Verantwortung man hat genauer hin zu gucken und das ist eben nicht so einfach, dass man nur gezwungen wurde, sondern, dass es auch da weiter Möglichkeiten gab."
Andreas Grothgar
"Da ist viel dazwischen, viele Zwischenschichten, ganz klar. Wir haben doch ein bisschen Bilder auch, zu der ganzen Zeit, vielleicht weißt du welcher..."
Henry Wahlig
"Ja, mach mal jetzt die Bilder aus der NS Zeit, das ist der gleiche Ordner, einfach NS Zeit. Ja, das hier ist auch das Stadion an der Castroper Straße, Bochum war Gauhauptstadt, hab ich ja eben gesagt, und das Stadion war eben das größte Stadion in Bochum und deshalb war es auch ein absoluter Propaganda-Ort für die Nazis. Hier hinten sehen wir die Scheune des Bauern Diekmann, die Berühmte, die genau da stand, wo heute die Ostkurve ist, also altes Bauerngebiet, und das war halt im Stadion, irgendein Gauparteitag oder irgendwie so was, wo man sieht, dass das Stadion als Aufmarschfläche genutzt worden ist. Das ist auch interessant, das ist das erste größere Spiel, was der VfL jetzt wirklich im Mai 38, also nach der Fusion, an der Castroper Straße bestritten hat. Wir sehen die Harkenkreuzflagge weht, das war aber damals Standart, und auch das gleich, weckt so ein bisschen die These, dass da scheinbar auch ein Propagandaverein für die NS Führung in Bochum wurde. Das Spiel war nämlich nicht von ungefähr gegen Ostmark Wien, heute wieder Austria Wien, kurz vorher war der Anschluss von Österreich, also Österreich wurde ja von Hitler 'heim ins Reich' geholt, wie er gesagt hat, wurde wieder eine Provinz von Deutschland, hieß eben Ostmark, deswegen wurde der Verein Austria Wien auch in Ostmark Wien wieder umbenannt und gleich kamen sie dann nach Bochum im Mai 38. Das ist eine der ganz wenigen Quellen, leider haben wir nur 2 Ausgaben davon erhalten: Es gab in der NS Zeit eine eigene Clubzeitung und das ist die erste Februar 39, die wir haben, wo auch das Wappen, das neue Wappen, zum ersten mal zu sehen ist; Es wäre ein Traum, wenn wir irgendwo noch mehr von diesen Vereinsnachrichten finden würden, also wenn die einer irgendwo Zuhause noch auf dem Dachboden liegen hat, der VfL wird bestimmt bereit sein dafür eine größere Summe zu- und ich gebe auch 5 Euro aus meinem, nein auch 10, also das wäre echt ein Traum, weil das ist natürlich eine super authentische Quelle, ganz nah dran. Hier zum Beispiel in dieser, ich habe jetzt nur die Titelseite hier, ist hier, da drin steht dann, wir sind schon Februar 39 also eigentlich schon lange nach der Fusion und da ist eine Aufforderung an die Fußballmannschaften, wo steht: Bitte nutzt jetzt mal endlich das neue Wappen und nicht mehr euer altes auf den Trikots. Also man sieht nämlich: Es gab von oben diese Fusion, aber in den Vereinen selbst ist die gar nicht so gut angekommen, es gibt auch die Geschichte, dass die wirklich noch Jahre lang noch weiter an getrennten Tischen saßen, bei Jahreshauptversammlungen und viele sind weiter mit ihrem Germania Wappen aufgelaufen und wollten das eigentlich gar nicht und hier wurde halt explizit gesagt: Jetzt tragt mal endlich das neue Wappen."
Andreas Grothgar
"Das beantwortet rückfolgend noch mal meine Frage, ob es so eine Form von Renitenz, von Widerstand gab gegen..."
Henry Wahlig
"Das ist halt, das ist nur so, das ist noch nicht Widerstand, wenn man so will."
Andreas Grothgar
"Ja doch, in einer Form finde ich schon, wenn du halt hier hast das ist oben und das ist unten, und das unten zeigt halt so seinen Widerstand, mit denen setz ich mich nicht an einen Tisch, hier ist mein Wappen, das bleibt mein Wappen."
Henry Wahlig
"Ja. Wer kennt diesen Herrn hier? Den kann man kennen, als Fußball, kann auch sein, dass es kein VfL Spieler ist, mal gleich gesagt. Das ist auch auf dem alten Germania Sportplatz, in Höhe heutiger Ruhr Congress und wenn ich jetzt sage, dass es ein Spiel gegen Schalke 04 ist, aus dem Jahr 37/38. Ernst Kuzorra, an der Castroper, aber am anderen Stadion an der Castroper. Ja, hier eben auch nur noch mal ein Beleg dafür: das war häufiger in Bochum, der Parteitag hier 1935, TUS Stadion war eben das heutige Stadion. Das ist ein Bild jetzt ungefähr aus dem Jahr 1940, jetzt tragen sie brav die neuen Vereinswappen, so sah dann die VfL Mannschaft aus."
Aus dem Publikum
"Kennt denn jemand Spieler, die da drauf sind?"
Henry Wahlig
"Ich kenn jetzt keine, aber sie bestimmt."
Aus dem Publikum
"Ganz rechts ist August Ramnie, in der Mitte ist Rozycki, den Rest weiß ich nicht."
Henry Wahlig
"Okay. Weiter ruhig. Das ist eine quasi, nicht die offizielle, aber eine der Feiern, wo die Fusion des VfL gefeiert wurde, also offiziell war das noch die Feier 90 Jahre Turnverein. Da kann man wieder rechnen 1848-1938 passte genau, die ist aber schon im Mai 38 gewesen und man sieht also auch komischerweise wieder nicht die Fusion, sondern die feiern immer nur ihren alten Turnverein, aber es war ja schon zur Fusionszeit und man sieht hier auch wieder wie stark krass nationalsozialistisch durchzogen das ist."
Andreas Grothgar
"Da sind Experten am Werk; Das könnte eine Theateraufführung sein."
Henry Wahlig
"Ja, alles stramm in Reih und Glied."
Andreas Grothgar
"Das könnte ein Opernchor sein."
Henry Wahlig
"Muss man auch sagen, die Turner waren auch echt die Schlimmsten. Von allen, ja, ist so, die haben sich ja immer sehr stark als politisiert empfanden, vaterländisch. Geturnt wurde, die Urwurzel sei Turnvaterländisch, geturnt wurde eigentlich als Wehrfähigmachung, aus soldatischen Gründen, wir wollen stramme Deutsche Soldaten erziehen und das soll auf dem Turnplatz entstehen und das haben sie als geistige Prägung, das war teilweise auch mit demokratischen Idealen verbunden, als es noch kein Deutschland gab, aber grade so dieses militärische, übernationale hat sich durchgezogen auch bis 33 und dann in der Nazi Zeit waren die Turner immer so die Radikalsten."
Andreas Grothgar
"Nach dem Krieg ging es dann wie weiter mit diesem Konglomerat? Gab es jemals wieder Bestrebungen das wieder aufzulösen, die künstlich hergestellte Vereinigung oder hat man gesagt jetzt ist gut, jetzt bleiben wir im VfL."
Henry Wahlig
"Wir haben keine Belege dafür gefunden, dass es hier in Bochum Überlegungen gab das wieder aufzulösen. Interessanterweise, es gab auch diese Fusion in anderen Städten und teilweise ist es auch wieder aufgelöst worden, dann nach dem Krieg."
Andreas Grothgar
"Zum Beispiel? Hast du ein Beispiel zur Hand?"
Henry Wahlig
"Wisst ihr einen konkreten Beleg, wo es wieder aufgelöst worden ist? Ich weiß zum Beispiel, wo es von vornerein gescheitert ist: In Hamburg. Der HSV sollte mit Viktoria Hamburg zusammengelegt werden, einem noch Größeren. Viktoria war damals auch ein größerer Verein, der wohl auch mehr Finanzielle Mittel hatte und da ist es, selbst unter Nazidruck, hat es nicht geklappt, weil die Milieus doch so unterschiedlich waren, dass die das einfach nicht mit sich haben machen lassen. Und da sieht man auch wieder, dass dieser- so weit ging dieser Zwang der Nazis dann wohl doch nicht, irgendwann konnten sie es dann nicht mehr sehen. In Bochum hat’s geklappt. Meine persönliche These, ist glaube ich, weil einfach die finanziellen Notwendigkeiten so groß waren, weil Germania pleite war, vielleicht war das dann auch einfach mit der Grund, warum der nach 45 auch so geblieben ist und vielleicht auch, jetzt meine persönliche These, kann ich nicht Belegen an Quellen, weil sie sich auch innerlich doch ganz gut getrennt haben, zum Beispiel Germania hat die Fußballabteilung weiter total geprägt und dominiert, insofern hatten die ihre Insel gefunden, quasi. Und nach dem Krieg, das ist ja auch interessant, gilt für den ganzen deutschen Sport, wie geht's weiter? Genau so wie vorher, also generell, das ist ja auch bekannt, dass nicht viel Entnazifizierung oder wirklich auch Vergangenheitsaufarbeitung in allen Bereichen in der deutschen Gesellschaft kaum stattgefunden hat, aber in anderen Bereichen, in der Wirtschaft oder in der Kultur ist es doch so gewesen, dass wirklich wenigstens die oberste Schicht noch ausgetauscht wurde, also das konnte man dann, der Präsident, der Reichskulturkammer, das konnte dann wenigstens- Im Sport wurden wirklich bis in die oberste Linie wurden alle beibehalten, Karl Diem, schon in der Weimarer Zeit ein großer Sportfunktionär, bei den Nazis, nachher sofort 46 konnte er die Sporthochschule gründen, Peco Bauwens, während der Nazi-Zeit DFB-Präsident, ne nicht Präsident, aber ganz hohes DFB-Tier, nach dem Krieg wird er DFB-Präsident, also da hat wirklich- bis in die neunziger Jahre null Vergangenheitsaufarbeitung stattgefunden. Es waren die gleichen Leute und das war auch beim VfL so. Es waren die Gleichen, es hat vielleicht bei der Führung dann mal gewechselt, aber sonst immer noch die gleichen Leute aktiv, immer noch der Jersch, immer noch Otto Wüst, der Eisermann ist da auch noch eine Zeit lang rum gelaufen."
Aus dem Publikum
"Das stimmt nicht!"
Henry Wahlig
"Doch, der Eisermann, natürlich."
Aus dem Publikum
"Abteilungsleiter wurde Theo Wüst…"
Henry Wahlig
"Hab ich ja gesagt wurde, Theo Wüst. Ja, Theo Wüst, aber Otto Wüst war auch weiter im Verein und der Jersch ist Ehrenpräsident geworden, es sind die gleichen Leute, die das weiter bestimmen."
Aus dem Publikum
"Jersch war kein Ehrenpräsident!"
Henry Wahlig
"Jersch war garantiert Ehrenpräsident! Ist doch egal."
Aus dem Publikum
"Sein Sohn wurde zweiter Vorsitzender!"
Andreas Grothgar
"Und wie würdest du das Image beschreiben, das sich beim VfL Bochum dann entwickelt hat, so mit der Zeit; Hat der Verein was daran getan oder hat sich das so mehr oder weniger ergeben?"
Henry Wahlig
"Im Bezug auf seine Vergangenheit?"
Andreas Grothgar
"Ja, Vergangenheit."
Henry Wahlig
"Also erstmal im Bezug auf seine Vergangenheit wurde lange Jahre, jetzt eigentlich bis in die jüngste Vergangenheit, kaum was gemacht. Aber das ist jetzt nicht- da ist der VfL jetzt nicht besonders schlimm, das ist im ganzen deutschen Sport so gewesen und zum Beispiel im Fußball ist es wirklich erst unter Zwanziger, seit dem Jahr 2005/2006, hat das begonnen, ist das wirklich aktiv angegangen worden. Da ist also der VfL keine Ausnahme. Generell so, wenn man sich die Vereinsentwicklung anguckt, würde ich sagen, ist dann das Entscheidende doch: Fünfziger Jahre waren sie dann mal in der damals ersten Liga, in der Oberliga, dann sind sie wieder abgestiegen, waren nicht wirklich erfolgreich und dann ging es in den sechziger Jahren zunächst ganz runter; Dritte Liga. Dann, muss man sagen, kam Otto K. Wüst und dann ging es, mit einer jüngeren Mannschaft, doch wirklich aufwärts und dann (ist für mich der Moment, wo der neue VfL das erste Mal wirklich bundesweit Schlagzeilen geschrieben hat) ist dann dieses Pokalspiel-Halbfinale 68 gegen Bayern München."
Andreas Grothgar
"Wo wir fast im Heute ankommen. Ich würde vorschlagen, weil du vorhin so tolle Bilder gezeigt hast, dass wir uns vielleicht jetzt noch mal die Bilder vom Stadion angucken, die du hattest."
"Ja, welche meinst du jetzt?"Henry Wahlig
Andreas Grothgar
"Die, die du vorhin gezeigt hast."
Henry Wahlig
"Ok, wir können zum Beispiel jetzt das Pokalspiel 68, vorher fünfziger Jahre, hab ich auch noch schöne…"
Andreas Grothgar
"Lass und da mal durchgehen und dann würde ich vorschlagen, machen wir ein kleines Päuschen und dann beschäftigen wir uns noch mit dem Jetzt, hier und heute."
Henry Wahlig
"Ja, sehr gerne. So, das ist jetzt hier 1950er Jahre, altes Stadion an der Castroper Straße, so ist die Mannschaft damals auf den Rasen gekommen, Spiel weiß ich jetzt grade nicht in dem Fall. Das ist hier das Alte, hinten sehen wir wieder die Scheune des Bauern Diekmann, das ist aus dem Jahr 1953, könnte Freitagabend gewesen sein, weil auch fast 30 000 einen sensationellen VfL-Sieg erlebten. Ja, da sieht man mal das volle Rund. Das finde ich ein geiles Bild: „Wer Durst hat denkt an Fiege Pils“ Das muss die Mauer sein, ich glaube an der Castroper Straße, und die Leute sind einfach hochgeklettert. Sieht man da hinten, ganz hinten rechts, da klettert noch einer die Mauer hoch und spart sich so den Eintritt, aber schon damals: Fiege und VfL, eine Familie. So das ist noch mal (hier wird sie grade abgetragen) eines der letzten Fotos der Scheune des Bauern Diekmann, eben beim Neubau des Stadions 53 muss der Bauer gehen. Mittlerweile ist es auch dann ein offizielles städtisches Stadion, also es gehörte ja die ganze Zeit dem Bauern Diekmann und der hat es verpachtet an die Vorgängervereine des VfL und dann auch an den VfL. Dann wird es offiziell ein städtisches Stadion und dann musste er auch mit seiner Scheune da gehen."
Andreas Grothgar
"Er musste gehen?"
Henry Wahlig
"Er musste gehen."
Andreas Grothgar
"Aber er hat es verkauft?"
Henry Wahlig
"Er hat es verkauft und dann-"
Andreas Grothgar
"Er war Geschäftstüchtig, wenn ich das richtig verstanden habe."
Henry Wahlig
"Der Mann muss Millionär gewesen sein, dem gehörte die ganze Ecke; Also alles, was da heute ist, das ist ja unbezahlbar. So, auch nochmal ein Bild, fünfziger Jahre, hinten noch mal schön vor der Scheune."
Aus dem Publikum
"Der beste Torwart, der je im VfL gespielt hat war Richard Dudeck."
Henry Wahlig
"Ja. Hier das ist jetzt schon… Das ist ungefähr 19-, Ende der fünfziger Jahre, 1960. Das ist jetzt quasi schon das neue, eigentlich das Heutige, immer noch das alte Stadion an der Castroper Straße, keine Scheune mehr zu sehen und nur eine, diese Haupttribüne, dann nachher Starenkasten genannt. Auch kein wirklich modernes tolles großes Superstadion, hatten wir da auch noch nicht wirklich, das wurde dann halt erst das Ruhrstadion, aber das reichte um da in den sechziger Jahren doch mal über die Runden zu kommen."
Aus dem Publikum
"Ist das die heutige Haupttribüne?"
Henry Wahlig
"Das ist die heutige Haupttribüne, genau."
Aus dem Publikum
Also links ist die Castroper Straße?"
Henry Wahlig
"Genau, geh noch mal zurück einmal. Genau, links ist die Castroper Straße, da sieht man sie auch und rechts das ist die heutige Haupttribüne, richtig. So und hier das ist auch noch mal ein Spiel, sehen wir auch noch hier Stadionwerbung damals, das ist auch alles Szene, und wir sehen auch wie voll das Stadion da schon war, also der VfL war dann lange Jahre in der Oberliga West und da war auch ordentlich was los dann."
Aus dem Publikum
"Fritz Hillemann."
Henry Wahlig
"Fritz Hillemann, genau. Hier dann, auch noch mehr los, ich weiß auch nicht bei welchem Spiel. Komischerweise sind sie damals oft gar nicht mit dem Wappen- das ist eins der wenigen Bilder, die ich gefunden habe, wo sie das Wappen tragen, gegen Fortuna Düsseldorf, wie man sieht, aber komischerweise: In vielen Spielzeiten hat der VfL das Wappen gar nicht getragen. Da sind wir durch. Und vielleicht noch einmal 1968, sind nur ein paar Bilder von diesem legendären Spiel."
Andreas Grothgar
"Das könnte RWE gewesen sein mit den weißen Hosen."
Henry Wahlig
"Die anderen? Das war Fortuna Düsseldorf."
Andreas Grothgar
"Nein, ich meine davor."
Henry Wahlig
"Ach so, das kann sein."
Andreas Grothgar
"Weil, die hatten das auch, vielleicht hatten das auch alle, kann auch sein."
Henry Wahlig
"Hier, das ist also tatsächlich hier die Seitenlinie, das Stadion war so über, über, übervoll, das ging gar nicht; 44 000 und noch viel mehr. Eintrittskarte habe ich von Bernd Kreinbaum bekommen. 4 Mark, das waren noch Preise."
Andreas Grothgar
"Ja, super, super; 2 Euro."
Henry Wahlig
"Aus dem Weg, der Pokalschreck kommt! - also eine völlig unbekannte Mannschaft, damals Regionalliga, das war die 2. Liga…"
Aus dem Publikum
"Das waren die Ultras."
Henry Wahlig
"Ja, das waren die Ultras, genau. Hat es halt ins DFB Pokalfinale geschafft, mehrere Bundesligisten nacheinander aus dem Weg geräumt und hier, der doch damals schon ziemlich große FC Bayern, noch nicht der Name den er dann später bekommt, aber immerhin kamen die schon mit Beckenbauer, mit Gerd Müller, mit Katze Schwarzenbeck, also wirklich schon viele große Stars dabei und der VfL hat die 2:1 weg gehauen."
Andreas Grothgar
"Das war aber ne weit verbreitete Technik, so auf den Rasen laufen, die Fahne so hinzulegen und sich darauf so zu verbeugen, mehrfach."
Henry Wahlig
"Ja genau. So, hier auch noch: Einfach wie unheimlich voll dieses Stadion gewesen ist-“
Aus dem Publikum
„Da vorne sitzt der Einfeld?“
Henry Wahlig
„Ja doch, Einfeld-“
Andreas Grothgar
„Das war das Erste…“
Henry Wahlig
„Ich glaube das war der WAZ Lokalredakteur, damals.“
Andreas Grothgar
"Aber da war keiner schnell genug gelaufen, da hat er es wieder weggetan."
Henry Wahlig
"Das hatten wir schon, eine Frau war da auch. Wenn man die Stadionbilder anguckt, damals die Fans, echt 99% Männer und davon tragen wieder 98% einen Hut."
Andreas Grothgar
"Dann lass und doch noch die Bilder angucken von der Entwicklung des Stadions, die fand ich auch wunderbar, wo noch die alte Tribüne zu sehen ist und die neue auf diesen Fotos drauf."
Henry Wahlig
"Ah ja, genau, jetzt brauchen wir Ruhrstadion, das ist glaube ich siebziger Jahre oder so was, genau. Aber das ist ja eine Story für sich, war sehr kompliziert und hat sehr lange gedauert bis Bochum endlich sein neues Stadion bekommen hat und Otto K. Wüst musste an allen Ecken und Enden kämpfen, auch damals hat die Stadt Bochum etwas länger gebraucht, und es ist eigentlich ein Wunder, dass der VfL so lange in der ersten Liga geblieben ist. Es hätte leicht passieren können, dass wir dann wieder abgestiegen wären und- Gott sei Dank! Und das hat dem Verein wirklich dann die nächsten Jahrzehnte das Leben gerettet, dass wir dieses Stadion hatten. Das ist welcher Torwart?"
Aus dem Publikum
"Werner Scholz."
Henry Wahlig
"Werner Scholz, perfekt, genau. Und der springt in die Zukunft, in das neue Stadion hinein, was hier gebaut wird. Ganz cooles Bild, ne? Das ist dann, die mussten ja Jahrelang auf dieser Baustelle, nach- Tribüne für Tribüne wurde das neue Stadion gebaut und Otto K. Wüst hat mir erzählt, wie unglaublich kompliziert es war weiter einen Spielbetrieb zu organisieren. Teilweise standen auch überhaupt keine Mannschaftskabinen zur Verfügung und dann eben musste man irgendwie das Publikum weiter unterbringen und dann wurden sie eben- heute wäre das unter Bauschutz, wäre definitiv nicht erlaubt, aber damals ging's. Das ist jetzt, glaube ich, die letzte heutige Haupttribüne, so weit ich das da sehen kann."
Andreas Grothgar
"Die heutige Haupttribüne?"
Henry Wahlig
"Ja. Hier sieht man nämlich noch, das ist jetzt witzig, das ist noch die alte Tribüne, die da steht. Der Rest des Stadions ist schon fertig, aber das war das letzte Stückchen, die heutige Haupttribüne, die noch nicht fertig war."
Aus dem Publikum
"Die Geschäftsstelle ist da drin."
Henry Wahlig
"Ja, da sieht man es auch noch mal. Das sind Fotos, das ist auch schöner, toller, wir haben eben halt so Quellen auch nochmal gefragt, erstmal hat man nichts, aber wenn man dann am Ball bleibt und plötzlich findet man die tollsten Dinger. Und hier, das hat mir Heinz Eikelbeck noch gegeben, er ist ja auch schon tot leider, der langjährige Bürgermeister von Bochum, das hatte er privat bekommen vom Ehepaar Grumt, die sind hier in Bochum ganz bekannt, weil die wohl eine einzigartige Musikinstrumentensammlung gesammelt haben, was jetzt im Wasserschloss Kemmnade ausgestellt ist. Und die haben damals quasi hier wo das Foto jetzt aufgenommen ist, gewohnt, am Küppersweg, direkt hinterm Stadion, und haben aus ihrem Küchenfenster raus immer Fotos gemacht, von der Baustelle, und haben ein Wunderschönes Album zusammengestellt, und das haben sie dann Heinz Eikelbeck geschenkt, weil er für sie, mit Otto K. Wüst, der Vater dieses neuen Stadions war. Und Heinz Eikelbeck hat das Jahrelang zuhause in der Schublade gehabt und dann hat er das mir gegeben und das sind also unheimlich, also ich habe nur diese Bilder jetzt mal rausgesucht, unheimlich tolle Bilder, die man nirgendwo anders finden kann, vom Bau dieses Stadions. Und das findet man plötzlich noch zufällig und sagt: Hach ja, hab ich hier, das gebe ich ihnen… Also man muss wirklich am Ball bleiben, plötzlich- und deshalb kann ich mir auch vorstellen, irgendwann wird ein Opa kommen und mir die ganzen VfL Vereinsnachrichten geben und sagen: Ich wollte sie grade wegschmeißen. Also ich bin sicher, wenn wir nur lange genug am Ball bleiben, wir finden noch die tollsten Dinger."
Andreas Grothgar
"Das muss ja toll sein, wenn du das in den Händen hältst, oder? Glaubste doch nicht..."
Henry Wahlig
"Genau, ja, ich dachte: Wahnsinn! Weil ich auch grade für dieses Buch, dachte ich, mir fehlen noch Bilder von dem Bau. Was für ein geiles Bild hier, auch von den Grumts gemacht. Die Flutlichtmasten, ihr seht: Die sind in der Luft, die wurden mit einem Riesen-Kran über die Castroper Straße dann an ihren Standort verpflanzt, das war auch mit das Erste, weil der VfL, damals schon ne DFB-Auflage, ne Flutlichtanlage brauchte. Das ist also schon, ich glaube 73/74, bevor die größeren Stadionumbauten beginnen, wurden diese Flutlichtmasten die Castroper Straße runtergeschleppt."
Andreas Grothgar
"Super!"
Henry Wahlig
"Ja, super, und die Grumts haben alles fotografiert. So, das ist jetzt Eröffnung, wer kennt ihn?"
Aus dem Publikum
"Gotthilf Fischer."
Henry Wahlig
"Gotthilf Fischer hat hier mit der Ostkurve das Bochumer Jungenlied angestimmt und alle mussten Pfeifen. Ja, das war damals, was man unter Entertainment verstand; Heute würde man andere Leute holen. Hier einfach noch auch mal ein Bild, das ist jetzt genau die Zwischenbauphase, die Flutlichtmasten sehen wir schon (die Fliegenklatschen stehen), die Rundsporthalle hinten links, ist auch schon da, aber das ist jetzt, Osttribüne fehlt noch, wird grade gebaut, und die Haupttribüne sehen wir, ist auch noch die Alte da. So und dann sind wir wieder vorne."
Andreas Grothgar
"Super! Also ich muss ja sagen: Ich bin geplättet. Ich finde das sowieso toll und wahnsinnig interessant, sich das anzuhören, und ich könnte noch ewig weiter zuhören, es ist ganz toll, die ganze Geschichte. Sehr lebendig finde ich das auch und, das macht mich sehr betroffen, was auch letztendlich zurückführt, zu den Wurzeln des Vereins und wie er so entstanden ist; Letztendlich, da wirst du Recht haben, findet sich das bei jedem Verein, man könnte diese Sache aufarbeiten. Manche tun es, manche tun es eher nicht, es ist sicherlich unglaublich wichtig, das zu machen."
Henry Wahlig
"Absolut. Ich denke, das Entscheidende ist: Man kann natürlich- das sind nette Anekdoten, aber wofür machen wir das ganze? Und ich denke, dass aus Vereinssicht heute gesehen, wenn ich definieren will, wo ich stehe und wo ich hin will, muss ich erstmal wissen, wo ich tatsächlich herkomme und sich das eben noch mal genauer- und dann eben ein bisschen über Anekdoten hinaus, zu versuchen zu verstehen, was sind so die Leitlinien, die entscheidenden Entwicklungen unserer Vergangenheit. Und das, finde ich, kann man beim VfL jetzt wirklich deutlich so sehen; Das ist diese besondere Verbindung, zwischen Verein und Stadt und das heißt für den Verein, finde ich jetzt, heute und für die Zukunft. wirklich, und das tun sie ja auch jetzt wieder stärker, auf diesen Fokus zu setzen. Nicht, dass wir nur ein Lokalverein sind, der in Herne schon keine Leute mehr erreicht, aber das, glaube ich, ist meine These, ich glaube Fans, die Fans des VfL sind, sind immer doch irgendwie mit dieser Stadt verbunden, ganz eng, weil das einfach zusammen gehört vom Gefühl her. Zum Beispiel Bayern Fans: Mein Bruder, der war ein paar mal in München, aber der hat mit der Stadt München nichts zu tun; Das ist ein ganz anderes Gefühl. Wenn man Bayern-Fan ist, ist man nicht automatisch an der Stadt München dran, das ist bei anderen Vereinen auch nicht so stark und das ist in Bochum, wie wir sehen, seit 100 Jahren mitten in der Stadt, auch eben ein Großverein durch diese Gründung in der Nazizeit geworden ist und das ist viel enger zusammen. Um zu verstehen was man heute ist, muss man erstmal in die Vergangenheit gucken."
Andreas Grothgar
"Ja, richtig. Ich schlage vor, ein kleines Päuschen zu machen; Nicht lange, fünf, zehn Minuten höchstens. Und dann gehen wir noch auf letzten Freitag und noch mal auf die paar Tage davor ein und dann haben wir noch unser Quiz, ja ok?"
Henry Wahlig
"Tolle Preise..."
Andreas Grothgar
"Gut. Henry?"
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